Dienstag, 24. März 2015

~ WELLENfund ~

Ich erzählte Euch doch bereits, dass ich manchmal auf merkwürdigem Wege zu
Büchern, Geschichten oder Musik komme. Diese Geschichte von Oscar Wilde ist mir
wiedereinmal entgegengeflogen, aus einer Büchertauschbox, sie stammt in diesem Fall
aus dem Buch Oscar Wilde, Erzählungen und Märchen, Insel Verlag.
Ich werde lediglich einen Auszug mit Euch teilen.
Ihr findet sicher Wege, wenn ihr wissen wollt, wie es weiter geht. ;-)
Habt Freude mit:

Der Fischer und seine Seele

Jeden Abend fuhr der junge Fischer hinaus auf das Meer und warf seine Netze ins Wasser.
Wenn der Wind vom Land her wehte, fing er nichts oder nur wenig,
denn es war ein bitterer Wind mit schwarzen Schwingen,
und schwere Wellen bäumten sich ihm entgegen.
Doch wenn der Wind zur Küste hin wehte,
kamen die Fische aus der Tiefe herauf und schwammen in die Maschen seiner Netze,
und er trug sie zum Markt und verkaufte sie. Jeden Abend fuhr er hinaus auf das Meer,
und eines Abends war das Netz so schwer, dass er es kaum ins Boot ziehen konnte.
Und er lachte und sprach bei sich selber: "Sicherlich habe ich alle Fische gefangen,
die schwimmen, oder eines der trägen Ungeheuer, über die die Leute sich wundern werden,
oder sonst einen Gegenstand des Grauens, wonach die große Königin verlangen wird",
und er nahm alle Kraft zusammen und zog an den groben Tauen,
bis die langen Adern an seinen Armen hervortraten wie Linien von blauem Email auf einem Bronzegefäß. Er zog an den dünnen Tauen, und näher und näher kam der Ring aus flachen Korken, und endlich stieg das Netz an die Oberfläche des Wassers.
Aber kein Fisch war darin, auch kein Ungeheuer noch ein Gegenstand des Grauens,
sondern nur eine kleine Meerjungfrau, die fest schlief.
Ihr Haar war wie ein feuchtes Vlies aus Gold,
und jedes einzelne Haar wie ein Faden aus lauterem Gold in einer gläsernen Schale.
Ihr Leib war wie weißes Elfenbein, ihr Schwanz aus Silber und Perlmutt.
Aus Silber und Perlmutt war ihr Schwanz, und grüner Seetang schlang sich darum;
und wie Seemuscheln waren ihre Ohren und ihre Lippen wie Meerkorallen.
Die kalten Wogen schlugen über ihre kalten Brüste, und das Salz glitzerte auf ihren Augenlidern.
So schön war sie, dass der junge Fischer bei ihrem Anblick von Staunen erfüllt wurde,
und er streckte seine Hand aus und zog das Netz nahe zu sich heran,
lehnte sich über den Bootsrand und umfasste sie mit seinen Armen.
Und als er sie berührte, stieß sie einen Schrei aus wie eine aufgescheuchte Möwe,
erwachte und blickte ihn mit malven- und amethystfarbenen Augen voll Entsetzen an
und wand sich, um ihm zu entkommen.
Er aber drückte sie fest an sich und wollte sie nicht von sich lassen.
Und da sie merkte, dass sie ihm auf keine Art entfliehen konnte,
 fing sie an zu weinen und sprach:
"Ich bitte dich, lass mich gehen, denn ich bin eines Königs einzige Tochter,
und mein Vater ist alt und einsam." Aber der junge Fischer antwortete:
"Ich lasse dich nicht gehen, es sei denn, du gibst mir das Versprechen,
dass du kommst, wann immer ich dich rufe, und für mich singst,
denn die Fische lauschen gern dem Gesang des Meervolks,
und so werden meine Netze sich füllen." "Wirst du mich wahrhaftig gehen lassen, wenn ich dir das verspreche?" rief die Meerjungfrau. "Ich werde dich wahrhaftig gehen lassen",
sagte der junge Fischer. So gab sie ihm das Versprechen, das er verlangte,
und beschwor es mit dem Eid des Meervolks.
Und er löste seine Arme von ihrem Leib, und sie sank nieder ins Wasser
und erzitterte in fremdartiger Furcht.
Jeden Abend fuhr der junge Fischer hinaus auf das Meer und rief nach der Meerjungfrau,
und sie stieg aus dem Wasser und sang für ihn.
Rund um sie herum schwammen die Delphine, und die wilden Möwen kreisten über ihrem Kopf.
Und sie sang ein herrliches Lied. Denn sie sang vom Meervolk,
das seine Herden von Höhle zu Höhle treibt und die kleinen Kälber auf der Schulter trägt;
von den Tritonen mit langen, grünen Bärten und einer behaarten Brust, die in gewundene Muschelhörner blasen, wenn der König vorbeizieht;
vom Palast des Königs, der ganz aus Bernstein ist, mit einem Dach aus klarem Smaragd
und einem Boden aus strahlenden Perlen; und von den Gärten der See,
wo die großen Filigranfächer der Korallen den ganzen Tag auf und nieder wallen und die Fische umherflitzen gleich silbernen Vögeln und die Anemonen sich an den Felsen schmiegen
und in geribbtem, gelbem Sand die Nelken knospen.
Sie sang von den Sirenen, die von so herrlichen Dingen sagen,
dass die Kaufleute ihre Ohren mit Wachs verstopfen müssen,
damit sie sie nicht hören und ins Wasser springen und ertrinken;
von den versunkenen Galeeren mit ihren hohen Masten, und den erfrorenen Matrosen,
die sich ans Takelwerk klammern, und den Makrelen,
die durch die offenen Bullaugen aus und ein schwimmen; von den kleinen Entenmuscheln,
die große Reisen machen, sich an die Kiele der Schiffe heften
und rund um die weite Welt fahren; und von den Tintenfischen,
die an den Rändern der Klippen leben und ihre langen schwarzen Arme ausstrecken
und Nacht machen können,wann sie wollen.
Sie sang vom Nautilus, der ein eigenes Boot hat, aus einem Opal geschnitzt
und gesteuert mit einem seidenen Segel, von den glücklichen Meermännern,
die auf der Harfe spielen und den großen Kraken in Schlaf zaubern können;
von den kleinen Kindern, die die glitschigen Meerschweinchen einfangen
und lachend auf ihren Rücken reiten; von den Meerjungfrauen,
die im weißen Gischt liegen und ihre Arme ausstrecken nach den Matrosen;
von den Seelöwen mit ihren krummen Fangzähnen und von den Seepferden
mit ihren dahin treibenden Mähnen.
Und wie sie so sang, kamen alle die Thunfische aus der Tiefe herauf,
um ihr zu lauschen, und der junge Fischer warf seine Netze um sie und fing sie,
und andere erlegte er mit dem Speer. Und wenn sein Boot wohlgeladen war,
sank die Meerjungfrau hinab ins Meer und lächelte ihm zu.
Niemals jedoch kam sie ihm so nahe, dass er sie hätte berühren können.
Oft rief er sie und flehte sie an, aber sie kam nicht; und wenn er sie zu fassen suchte,
tauchte sie wie eine Robbe ins Wasser und ließ sich den ganzen Tag nicht mehr sehen.
Und jeden Tag wurde der Klang ihrer Stimme seinen Ohren süßer.
So süß war ihre Stimme, dass er seiner Netze und seiner List vergaß
und sich nicht kümmerte um sein Handwerk.
Mit zinnoberroten Flossen und Augen aus gebuckeltem Gold
schwammen die Thunfische in Scharen vorbei, er aber beachtete sie nicht.
Müßig lag der Speer an seiner Seite, und seine Körbe aus Weidengeflecht blieben leer.
Mit offenem Mund und vor Staunen dunklen Augen saß er reglos
in seinem Boot und lauschte und lauschte,
bis die Seenebel um ihn krochen und der wandernde Mond
seine braunen Glieder silbern färbte.
Und eines Abends rief er sie und sprach: "Kleine Meerjungfrau,
kleine Meerjungfrau, ich liebe dich. Nimm mich zu deinem Bräutigam, denn ich liebe dich."
Aber die Meer Jungfer schüttelte den Kopf. "Du hast eine menschliche Seele", antwortete sie.
"Wenn du nur deine Seele fort senden wolltest, dann könnte ich dich lieben."
Und der junge Fischer sprach bei sich selber:
"Was nützt mir meine Seele? Ich kann sie nicht sehen.
Ich kann sie nicht berühren.
Ich kenne sie nicht.
Wahrlich, ich will sie von mir senden, und große Freude wird meiner warten."
Und ein Freudenruf brach von seinen Lippen, er stand auf in dem bunten Boot
und streckte seine Arme aus nach der Meerjungfrau.
"Ich will meine Seele fort senden", rief er,
"und du sollst meine Braut sein und ich dein Bräutigam,
und in den Tiefen des Meeres werden wir zusammen wohnen,
und alles, wovon du gesungen hast, sollst du mir zeigen, und alles,
was du begehrst, will ich tun, und nichts soll unsere Leben trennen.
"Und die kleine Nixe lachte vor Vergnügen und barg das Gesicht in ihren Händen.
"Aber wie soll ich meine Seele von mir senden?" rief der junge Fischer.
"Sag mir, wie ich es tun kann, und siehe es wird geschehen!"
"Ach! Ich weiß es nicht", sprach die kleine Meerjungfrau.
"Das Meervolk hat keine Seelen."
Und sie sank hinab in die Tiefe und blickte ihn sehnsuchtsvoll an.


Einen beZAUBERnden Dienstag wünsche ich Euch!

HERZlich ~ Daniela



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