Freitag, 6. März 2015

~ Tempofragen oder: Zu langsam für die Welt? ~

"Wissen sie, ich fühle mich manchmal allein in einer Welt voller Menschen,
zu langsam um mit dieser modernen Welt Schritt zu halten, zu alt."
Ein kurzer Augenblick nur, im vorbeigehen beobachte ich einen älteren Herrn,
der sich im Kaufrauschgetümmel einer Einkaufspassage ans Herz fasst,
sein Gesicht ist gerötet und Schweißperlen tropfen von seiner Stirn.
Er wird von einer Seite zur nächsten geremmpelt,
während ein Jugendlicher ihm im vorübergehen zuruft:
"Opi, Du stehst im Weg. Besorg Dir mal `nen Rollator!"
Der Mann scheint das gar nicht wahrzunehmen.
Ich gehe zu ihm rüber und frag ihn ob alles in Ordnung sei.
"Nein, ich habe Herzstiche, mein Blutdruck ... "
Ich frage ihn, ob ich einen Krankenwagen rufen soll,
er verneint, zeigt aber auf seine Brieftasche und bittet mich, ihm sein
Nitrospray zu reichen.
Ich hole es aus der Brieftasche, öffne den Verschluss und reiche es ihm,
er nimmt einen Hub und atmet danach tief ein und aus.
Ich warte einen Augenblick, bevor ich ihn frage, ob es ein wenig besser geht.
"Ja, ich danke ihnen, junge Frau, wenn sie mich vielleicht nur aus diesem Zentrum begleiten
könnten, mir ist ganz schwindelig."
Eigentlich habe ich keine Zeit, meine Tochter würde in 20 Minuten aus der Schule kommen,
aber mir fällt ein, dass ich sie über ihr Handy erreichen kann und bin einmal mehr
dankbar über eine Erfindung, die ich sehr häufig verfluche.
"Gerne", antworte ich dem Mann, der mir das Nitrospray nun wieder in die Hand drückt, das
ich in seiner Brieftasche verstaue. Ich gebe ihm die Brieftasche, nehme ihm seine Einkaufstasche
ab und begleite ihn langsamen Schrittes durch das Gedränge aus der Passage hinaus.
Während wir gehen, sagt der Mann den Eingangssatz.
Ich habe keine Antwort, sehe ihn an und werde für einen Augenblick furchtbar traurig.
Ich kann ihn verstehen, dieses Bild, ihn dort stehen zu sehen in einer sich bewegenden
Menschenherde, die in Gedanken bereits am Ziel keinen Blick erübrigen können,
für den Menschen, der da steht, als ihr Hindernis, für den sie einen Schritt zur Seite gehen müssen,
um ihn nicht umzurennen.
Draussen angekommen frage ich den Mann, ob er sich einen Augenblick lang auf einer
Bank ausruhen möchte. Er bejaht und so begleite ich ihn zur nächsten Sitzmöglichkeit.
Ich vergewissere mich, ob ich nicht doch einen Krankenwagen rufen soll,
oder sonst etwas für ihn tun könne, er verneint und bedankt sich sehr herzlich bei mir.
Ich verabschiede mich, wünsche ihm alles Gute, bitte ihn gut auf sich Acht zu geben und einen
Arzt zu konsultieren.
Auf dem Heimweg, denke ich darüber nach,
wie es sein kann, dass Menschen sich anpassen müssen, an ein Tempo, mit dem sie
aufgrund verschiedenster Gegebenheiten nicht mithalten können,
ich frage mich, wie begrenzt unser Fokus im Alltag tatsächlich ist,
dass wir Menschen, die sich zu langsam bewegen, eine Pause brauchen,
oder gar schmerzerfüllt im Weg herum stehen nicht wahrnehmen (wollen?)
und ich frage mich, wie es wohl sein wird, wenn ich eines Tages alt
bin, ob ich mich auch so fühlen werde, wie der Mann es beschrieb?

HERZlich ~ Daniela



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