Dienstag, 7. Oktober 2014

~ (M)eine Wellengeschichte: Helen ~

"Franzi? Was ist mit Dir?"
In dem Augenblick als Franziska Helens Stimme hörte,
konnte sie nicht mehr an sich halten.
"Ich kann nicht mehr, Helen. Es geht einfach nicht mehr. Ich habe alles versucht,
ich kann das nicht mehr aufhalten. Ich ersticke hier. Ich halte Kai nicht mehr aus,
ich halte meine Mutter nicht mehr aus. Dieses Haus beklemmt mich.
Ich möchte schreien und wüten, aber ich kann nicht.
Ich fühle mich betäubt, gefangen und fremd."
"Oh mein Gott!" erwiderte Helen, sie hatte es kommen sehen,
etwas war anders mit ihrer Freundin, seit Milas Geburt.
Sie kam nicht mehr an Franzi heran, etwa so als würde eine unsichtbare
Mauer zwischen ihnen existieren, so etwas hatte es in ihrer Freundschaft noch
nie gegeben.
"Ich hole Dich ab, Franzi! Ist jemand bei den Kindern?"
Es war kurz nach Mitternacht.
"Ja, Kai! Du brauchst aber nicht ..."
Helen fiel Franzi ins Wort.
"Papperlapapp, ich will aber."

Etwa 20 Minuten später hörte Franzi den Wagen ihrer Freundin in die Einfahrt
einbiegen. Franzi schrieb Kai schnell einen Zettel:
"Musste raus. Bin mit Helen unterwegs und spätestens
zum Frühstück zurück."

Als sie die Haustür öffnete, stand ihre Freundin an ihren Wagen gelehnt,
wie ein Engel stand sie da. Ein warmes Gefühl durchfuhr Franzi,
so war es schon immer gewesen, seit ihrer ersten Begegnung mit Helen.
So unterschiedlich sie in ihren Erscheinungen und ihren Lebenswegen
schon immer waren, umso stärker Verband sie dieses unsichtbare Band,
eine Freundschaft, die nie beschlossen wurde, sondern vom ersten Augenblick an einfach
da war.

Helen war inzwischen an der Haustür angekommen,
wo Franzi in Gedanken versunken wie versteinert stand.
"Hey!" flüsterte sie und nahm Franzi in den Arm,
bei der plötzlich alle Dämme brachen. Sie sank in die Arme ihrer Freundin
und weinte.

Als sie sich ein wenig beruhigt hatte, Helen ihr die Beifahrertür
öffnete und sie aufforderte einzusteigen, sah Franzi zum Schlafzimmerfenster hinauf.
Da lag Kai nun und hatte keine Ahnung, was in ihr vorging.

Helen startete den Wagen und einige Minuten fuhren
sie schweigend durch die Nacht, als Helen plötzlich fragte:
" Was ist eigentlich passiert, Franzi?"

Franzi atmete einige Male tief durch, bevor sie begann ihrer Freundin die
Geschichte der letzten Monate zu erzählen, von der Abwesenheit Kais,
bei Milas Geburt, von der Unfähigkeit der Ärzte wahrzunehmen, was dort
wirklich passierte, von dem ferngesteuerten Funktionieren, als sie nach Hause kam.
Von ihren Angstattacken, den schlaflosen Nächten, dem Zusammenbruch mit Lähmungserscheinungen vor einigen Monaten, dem Unverständnis ihres Mannes und
ihrer Mutter. Von der Angst zu sterben, ihrer Reise nach Fuerteventura,
dem Spaziergang am Strand, der Erkenntnis, dass es so nicht weitergehen konnte.
Von der Fahrt nach Cofete und dem Erlebnis dort am Meer.
Von ihren Schuldgefühlen Kai gegenüber, der nichts von dem zu verstehen schien,
was in ihr vorging. Von der Angst, ihren Kindern das ZuHause zu nehmen,
für den Fall, dass sie Kai verlassen würde und von dem latenten Druck eine
Rolle zu spielen, die sie nicht mehr spielen konnte und wollte.

"Was soll ich nur tun Helen?"

Helen war ergriffen. Sie kämpfte gegen ihre eigenen Tränen an.
nach einer Weile sagte sie:

"Franzi, erinnerst Du Dich an unser letztes Treffen? Es war kurz vor Deinem
Urlaub und wir sprachen über belangloses Zeug, das erste Mal in den letzten
15 Jahren unserer Freundschaft, hatte ich den Eindruck, wir hätten den Kontakt
zu einander verloren. Es fühlte sich an, als wäre da eine Mauer zwischen uns,
ich konnte sie nicht erkennen, aber deutlich spüren. Als ich später Euer Haus verließ,
war ich plötzlich furchtbar traurig. Ich dachte an Deine Augen, die mir immer so
sehr ein Spiegel waren, für unsere Freundschaft, für Dich. Dieses Feuer, das da
loderte in der Tiefe. Deine Lebensfreude, Deine unbändige Lust weiterzugehen,
all die Energie, die da war, Dein ganz eigener Zauber, das war plötzlich verschwunden.
Da war nur Leere und das machte mir Angst."

Franzi schluckte. "Warum hast Du denn nichts gesagt?"

"Weil ich Deine Freundin bin & weil bei jedem meiner Versuche mich
Dir ein wenig zu nähern, die Mauer noch undurchlässiger wurde."

Franzi weinte und umarmte ihre Freundin, die inzwischen am Straßenrand gehalten hatte.

"Was Du nun tun sollst, weiss ich auch nicht, aber ich weiss, dass Du dort nicht
bleiben kannst ohne Dich selbst zu verlieren. Sprich mit Kai, findet eine Lösung.
Er liebt Dich und wird Dich gehen lassen müssen,
wenn auch unter Schmerzen und Protest, das musst Du ihm erst einmal nachsehen,
stell Dir vor Du wärst in seiner Situation und müsstest damit umgehen,
dass er einfach keine Gefühle mehr für Dich hat. 
Denk in jeder Sekunde an die Kinder und wie diese Situation für sie
am wenigsten Verlust bedeutet. Denk dabei immer an Deine eigene Geschichte,
Deinen Verlust und versuche es besser zu machen, als Deine Eltern.
Ich bin hier bei Dir und da, wann immer Du mich brauchst.
Du und die Kinder."

Eine Welle von tiefer Dankbarkeit durchfloss Franzis Körper,
sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und spürte zum ersten
Mal seit Wochen so etwas wie Kraft und Zuversicht.

"Danke, Helen für alles und dafür, dass Du meine Freundin bist."

"Danke, dass ich Deine Freundin sein darf, Franzi und danke
für Dein Vertrauen, in all den Jahren."

Nun weinten beide, ein wenig vor Glück und ein wenig weil eine
von Ihnen einen neuen Lebensabschnitt beginnen würde,
wieder einmal.

Franzi musste sogar innerlich etwas schmunzeln.
Wie gut es war, dass sie beide sich immer abwechselten,
mit ihren Brüchen, so dass die eine die andere auffangen konnte. 
Sie waren Kamikazepilotinnen, beide auf ihre ganz eigene Weise,
mit der Tendenz zum glücklich sein.

Als Helen Franzi vor ihrer Haustür absetzte ging die Sonne bereits auf,
stundenlang waren sie noch durch die Nacht gefahren,
hatten Musik gehört, über alte Zeiten geredet, philosophiert,
herumgealbert, gelacht, geweint und Pläne geschmiedet
und an jeder Tankstelle gehalten um Kaffeenachschub zu erhalten.

Franzi öffnete die Autotür, drückte Helen einen Kuss auf
die Wange und verabschiedete sich beinahe fröhlich.
"Eines wollte ich Dir die ganze Zeit schon einmal sagen, Franzi.
Weisst Du welcher für mich der merkwürdigste und zugleich liebevollste
Augenblick war in den letzten Jahren? Es war als ich das erste mal gehört habe,
wie Deine Tochter Mama zu Dir sagt. Plötzlich wurde mir bewusst, Du bist es tatsächlich,
aus dem bezaubernd rebellischen Teenager wurde eine Mama und mit welcher Hingabe
Du das bist, erstaunt mich immer wieder. Wir sind erwachsen geworden, Franzi, aber
die Teenager, die Kinder, die Quellen unserer Wahrheit leben weiter in uns, IMMER!"

Noch einmal drückte Franzi ihre Freundin fest an sich und gab ihr einen Kuss!
"Ich danke dem Himmel für Dich, Du Blumenkind!"

Franzi warf die Autotür hinter sich zu und Helen fuhr los.
Leise betrat sie das Haus. Monatelang hatte sie
sich nicht mehr so unbeschwert gefühlt.
Auf dem Esstisch lag ihr Zettel unberührt am gleichen Fleck,
wie alles an diesem Ort einen bestimmten, ihm zugeordneten
Platz hatte.
Nur Franzi hatte ihren Platz hier nie finden können.
Sie ging in die Küche und schaltete den Kaffeeautomaten ein.
In einer halben Stunde würden die Kinder erwachen.
Kai würde wach werden und nichts ahnen, von ihrer
nächtlichen Tour und der Entscheidung die sie getroffen hatte.

Fortsetzung folgt ... ;-)

Genießt Eure ZEIT ihr LIEBEn

HERZlich ~ Daniela


















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