Dienstag, 24. November 2015

~ Unbestimmbare Angst ~

Aufgebäumt, riesig stand sie vor ihr, diese Angst.
Die ihr die Luft zum atmen nahm, sie zu erdrücken schien.
Diese unbestimmbare Angst, die sie kannte so irreal und
dennoch wirklich im Augenblick, dass sie schreien wollte,
doch sie konnte nicht. Überhaupt konnte sie gerade gar nichts.
Ihr Körper zitterte, sie biss sich auf die Lippen, jetzt nur nicht
ergeben. Um sie herum Menschen, die auf sie einredeten.
Sie verstand kein Wort von dem, hörte die Stimmen,
aber nicht was sie sagten.
Sie war noch ein Kind, zehn Jahre alt, als sie diese Angst zum
ersten Mal überfiel.
Im überfüllten Fahrstuhl eines Einkaufszentrums in der Vorweihnachtszeit,
Menschen um sie herum, deren Anwesenheit lärmte,
Gerüche die sie würgen liessen.
Ihre Kehle schnürte sich zu, sie konnte nicht mehr schlucken,
nicht mehr atmen und begann dann doch zu weinen.
Die Beruhigungsversuche der Großeltern und Tanten, die sie begleiteten
schlugen fehl, sie machten es nur noch schlimmer, weil  keiner
die Ruhe behielt und alle gleichzeitig auf sie einredeten,
sie wahnsinnig machten mit ihren Belehrungen und der Überforderung
mit dieser Situation.
Sie wollte weg, nach Hause.
Das war so nicht geplant für den Rest.
Sie solle das Theater sein lassen, es gäb schliesslich keinen
Grund für ein solches Verhalten.
Nur Fragmente dieser Worte drangen zu ihr durch,
stand sie doch frontal dieser übermächtigen Angst gegenüber,
die sie zu überwältigen drohte.
Nachdem alle Versuche gescheitert waren, sie zu beruhigen,
machten sie sich auf den Weg zurück zum Auto.
'Nein, nicht wieder in diesen Fahrstuhl, dieses Parkhaus.' dachte
sie, während sie nach Luft rang.
Sie wehrte sich mit Händen und Füßen dagegen.
So dass irgendwann ihr Großvater das Auto allein holte,
und die anderen bis zum vereinbarten Treffpunkt weiter vorwurfsvoll
auf sie einwirkten.
Die Autofahrt machte alles noch schlimmer, sie bekam
Weinkrämpfe, Atemnot und schlucken konnte sie immer noch
nicht, zumindest hatte sie das Gefühl.
In ihrem Gefühl dauerte es eine Ewigkeit, bis sie endlich bei
ihrer Mutter ankamen. Die nahm sie liebevoll in den Arm,
und versuchte ganz ruhig zu ihr durchzudringen, doch es gelang
ihr nur schwer. Sie atmete ganz ruhig mit ihr gemeinsam,
aber immer wieder brach das Mädchen in Tränen aus, atmete schnell
und schwer, sodass sie mit ihr eine Kinderärztin aufsuchte,
die an diesem Samstagnachmittag Notdienst hatte.
Bereits als sie in der Praxis ankamen, die dunkel,
farblos und so gar nicht kindgerecht gestaltet war,
wurden die Attacken wieder schlimmer.
Eine halbe Stunde später im Behandlungsraum,
nachdem die Ärztin sie abgehört und ihre Reflexe getestet
hatte, hörte sie die Ärztin zu ihrer Mutter sagen:
"Die hat nichts, die simuliert."
Nachdem ihre Mutter ihr in die Jacke geholfen hatte,
sie an die Hand nahm und sie gemeinsam die Praxis
verliessen, sah ihre Mutter die Ärztin an:
"Sie haben offenbar ihren Beruf verfehlt, oder
glauben sie tatsächlich, dass irgendeine Mutter
einen kinderärztlichen Notdienst aufsucht mit einem
Kind, das seit Stunden hyperventiliert, weil es NICHTS hat?"

Keine Antwort, die Tür fiel ins Schloss.
Die Mutter machte einen ausgedehnten Spaziergang
mit ihrer Tochter und es dauerte noch bis in die
Nacht, bis sie sich einigermaßen beruhigt hatte.
Es dauerte noch einige Wochen, bis sie sich von dem
Vorfall erholt hatten und sie langsam Schritt für Schritt wieder
begannen sich Menschenmengen, Fahrstühlen,
Parkhäusern oder Einkaufszentren zu nähern,
bis sie sich wieder frei bewegen konnte,
die Angst allerdings und die Angst vor dieser Angst
sollten sie viele Jahre später als erwachsene Frau
noch einmal einholen.

~ Daniela Buchholz, Nov. 2015 ~



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen