Dienstag, 10. September 2013

~ Weltschmerz oder Gesellschaftsfragen ~

"Weltschmerz", sagte sie. "Du trägst den Schmerz der Welt und Du wirst darunter zusammen brechen."


Das stimmt so nicht, dachte ich. Ich spüre Schmerz. Einen Schmerz, der auch mit mir zu tun hat. Ich sah eine Dokumentation über Kinder mit einer Bipolaren Störung, ich sah, wie diese Kinder teilweise im Kleinkindalter mit Medikamenten vollgepumpt werden, ich sah, und das erschütterte mich vielleicht am meisten, mit welcher Selbstverständlichkeit diese Kinder die Medikamente zu sich nahmen, die ihnen ihre Eltern mit einer noch größeren Selbstverständlichkeit verabreichten. Ich höre es in meinen Ohren laut dröhnen, die Stimme eines zehn jährigen Mädchens, welches erklärt, dass sie diese Medikamente nimmt, damit sie kontrollierbar werde. Ich höre die Stimme der Mutter eines drei jährigen Jungen, die erklärt, sie verabreiche ihrem Sohn 3 verschiedene Medikamente, um seine Wutanfälle zu bändigen. Währenddessen schlägt ihr Sohn Wäsche in den Fernseher, der während der gesamten Aufnahmen dieser Familie monoton im Hintergrund läuft.


Ich bin Mutter und ich war Kind.
Ich erinnere mich gut an die Gefühle eines Kindes.
Ich erinnere mich an den Schmerz, wenn ich das Gefühl hatte etwas falsch oder nicht gut genug zu machen. Ich erinnere mich an meine Verwirrung, wenn ich einem Erwachsenen eine Freude machen wollte, indem ich Schokoladenkuchen mit Blumenerde auf dem Wohnzimmerteppich backte und dafür bestraft wurde. Ich erinnere mich daran wie furchtbar wütend ich wurde, wenn ich den Menschen erzählte, ich sei soeben zurückgekehrt aus meinen Ferien in Bullerbü, und sie mich auslachten und mir erklärten, ich wäre nicht dort gewesen.
Möglicherweise wäre ich heute ein Kind mit einer bipolaren Störung, auffällig in jedem Fall.


Nun bin ich selbst Mutter und weit entfernt davon perfekt zu sein.
Meine Kinder bekommen Wutanfälle, sind traurig,
erzählen mir die wildesten Phantasiegeschichten und bringen mich von Zeit zu Zeit an den Rand eines Nervenzusammenbruchs. Ich verliere die Nerven und dann schreie ich auch mal. Es gibt Tage, an denen ICH gestresst bin, mich nicht gut fühle oder einfach Zeit für mich brauche. Meine Kinder spüren das zu jeder Zeit und versuchen, wie alle Kinder diese Energien auszugleichen und wenn das nicht gelingt, versuchen sie die Aufmerksamkeit anders auf sich zu lenken - sie werden auffällig - was mehr über mich, als über meine Kinder aussagt. 


Einmal, ich war ca. im 7. Monat schwanger mit meiner ersten Tochter, dachte ich über mein Mutter werden nach, versprach ich diesem Wunder in meinem Bauch etwas, ich versprach meiner Tochter zu jeder Zeit zu versuchen authentisch zu sein, ihr soviel Liebe zu geben, wie sie brauchen würde und ich zu geben in der Lage bin und ich versprach meiner Tochter, sie zu sehen, wie sie ist. Sie zu begleiten und ihr die Möglichkeit zu geben, sich so frei wie möglich zu entwickeln.
Manchmal gelingt es mir nicht, weil ich mich immer wieder in alten Erziehungsmustern finde, oder weil mir der Spagat zwischen „unserer“ Art zu leben und der Ansicht eines in meinem Empfinden kranken Systems, wie wir zu leben hätten nicht gelingen will.


Bei den Worten Anpassung und Kontrolle, bemerke ich einen Würgereiz in mir. Beim ersten Elternsprechtag in der Schule erklärte man mir gleich, was an meinem Kind auffällig sei. Sie sei auffällig freundlich und habe ein überdurchschnittlich ausgeprägtes Sozialverhalten ihren Mitschülern gegenüber.
Der Satz, dass sie es damit schwer haben würde, wurde noch schnell nachgeschoben und ich fragte mich auf dem Heimweg tatsächlich, ob ich es meinem Kind schwer mache, mit den Werten, die wir leben.


Im weiteren Verlauf dieses ersten Schuljahres gab es einen Lehrerwechsel.
Die neue Klassenlehrerin meiner Tochter entdeckte schnell eine weitere Auffälligkeit.
Sie sei Körperbezogen und umarme ihre Klassenkameraden, natürlich nicht alle.
Jene, die ihr eben nahe stehen, aber sie sei ja auch erst in der ersten Klasse.
Vor meinem geistigen Auge erschienen leuchtend rote Fragezeichen.
Also fragte ich nach, ob diese Aussage eine Botschaft enthalte, die mir zu entschlüsseln gerade nicht möglich sei.
Daraufhin erklärte sie mir, man könne einmal mit ihr darüber sprechen, warum sie diese Mitschüler umarmt.
Ich war ratlos.
Bisher war ich der Ansicht, es sei gut, dass meine Tochter in der Lage ist ihre Gefühle auszudrücken.
Ich antwortete der Lehrerin, dass es für mich keine Veranlassung für ein solches Gespräch mit meiner Tochter gibt, und ihre Frage, möglicherweise eine Frage an sich selbst sein könnte, da sie sich mir nicht stellt.


Auf dem Heimweg fragte ich mich erneut, ob ich es meinen Töchtern schwer mache.


Heute sehe ich dann diesen Film. Ich sehe, wie Eltern, die sicher das beste wollen für ihre Kinder, darauf vertrauen, was Ärzte, Lehrer oder die Nachbarn sagen. Ich sehe, wie Eltern sich profitabel ausbeuten lassen von einer Industrie und dafür Kinder geopfert werden. Die Lebenserwartung von Menschen, die seit ihrer Kindheit Psychopharmaka einnehmen verringert sich um 25%.


Weltschmerz?
Mein eigener Schmerz?


Eines weiss ich ganz sicher, ich werde mich niemals anpassen können - wollen, an eine Gesellschaft, die aus Gründen des Profits ihre Kinder opfert.




1 Kommentar:

  1. Wir leben in einer Welt, in der die Psychologie die Gesellschaft dominiert. Zum Teil hat das sicher seinen Nutzen. Denn wir wollen immerhin unseres gleichen verstehen. Und wenn man die untere Sparte, der Verbrecher Kartei, vornehinweg verhindern könnte, warum sollte man das genau nicht versuchen? Menschen experimentieren, spielen und versuchen herum. Ergebnisse die schief laufen tauchen nicht auf und man sieht nur Statistiken die ihr eben Recht geben. Jedes Genie unserer Vergangenheit war ein Outsider, ein Störenfried, ein absolut zu hunderprozentig Verrückter mit psychischer Störung. Nun, zu heutiger Zeit könnte es so etwas nicht geben, außer in Ausnahmefällen. Du siehst also schon, dass Psychologie auch nur eine Wissenschaft ist, die von Menschen für Menschen geschaffen wurde. Und diese machen Fehler und irren sich und können niemals hundert Prozent Recht haben. Das Thema Psychopharmaka ist problematisch. Zu hundert Prozent wird so etwas niemals an Kleinkinder gegeben. Aber es gibt Fälle, wo es unabdingbar ist um Depressionen oder auch Suizid entgegen wirken zu können. Aber niemals an Kinder um das noch mal zu betonen. Frühestens wird so etwas in der Pubertät in Betracht gezogen. sicher bin ich kein Verfechter davon, aber ab und zu hat es seinen Nutzen wie auch gegenteiligen Effekt. Es ist wie bei allen Medikamenten, die helfen oder schaden können. Es gibt ein Lehrbuch, eine Vorgabe und danach handelt der Mensch, bzw. der Halbgott Arzt dann.
    Aber in Deinem Fall, dem was ich aus den Zeilen herauslesen konnte, würde ich für Deine Kinder das nicht in Betracht ziehen. Lehrer übertreiben auch immer sehr gerne.
    Aber Deinem Statement am Schluss schließe ich mich zu 100 % an. Das mit dem nicht anpassen, ist eine Lebenseinstellung. Außer als Mittel zum Zweck. Lass dich nicht ärgen und ab und zu, weiß das Bauchgefühl mehr, als ein Arzt oder Lehrer Dir sagen kann.


    Grüße

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