Montag, 23. September 2013

~ Menschen & Begegnung ~

Ein gewöhnlicher Montag morgen,
ich stehe auf,
ich gehe ins Bad,
ich trinke Kaffee & rauche eine Zigarette,
während ich die neuesten Meldungen bei Facebook lese,
mich inspirieren lasse.


Ich tausche mich aus, mit mir lieben Menschen, teile mit
was mich berührt in diesem Moment und mich inspiriert für den Tag,
vielleicht schenkt es einem Menschen ein Lächeln, denke ich,
und dass das schön wäre.
Etwas ist anders an diesem Montag morgen.
Ich bin aufgeregt.
Meine Freundin fragte mich vor einigen Tagen,
ob ich eine Idee habe, zu einer Geschichte über unsere Stadt,
die sie gerne filmen würde, um damit an einem Wettbewerb teilzunehmen.
Mich persönlich interessieren Menschen, demnach schlug ich vor,
Menschen zu fragen, wie sie hier in dieser Stadt leben.
Menschen, die vielleicht nicht so häufig gefragt werden.
Solche, die entweder übersehen, oder im vorbeigehen gemustert,
mit Pauschalurteilen belegt und gleich aus dem Gedächtnis verbannt werden.
Diese Menschen interessieren mich.
Nachdem wir gestern kurz durchsprachen,
wie wir die Menschen finden könnten und was wir sie fragen würden,
war uns ziemlich schnell bewusst, dass auch wir Berührungsängste haben.
Wir fragten uns, ob sie uns ihre Geschichte wohl erzählen würden,
wir hatten bedenken und dennoch wusste ich,
wir würden diese besonderen Mensche treffen,
die, die etwas zu sagen haben,
jene,die sich sonst nicht gehört fühlen,
die unser Herz berühren würden.
Wir machten uns also auf den Weg in die Innenstadt und liessen uns erst einmal
von Ort zu Ort treiben.
Mit geöffneten Kanälen nimmt man Menschen anders wahr.
So hatte plötzlich jedes vorüberziehende Gesicht seine Geschichte zu erzählen, dachte ich bei mir.
Unser Gefühl war, wir hatten "unsere" Menschen noch nicht gefunden.
Im vorbeischlendern sah ich aus dem Augenwinkel eine junge Frau
(ich nahm sie als Mädchen wahr) lesend auf einer Bank in der Innenstadt sitzen,
aus dem Rucksack, der vor ihr lag,
lugten 2 Tüten Kekse und eine Flasche Apfelschorle hervor.
Sie hob für einen Moment ihren Blick und ich fragte meine Freundin,
ob sie auch das Gefühl habe, dass wir sie einmal fragen könnten,
ob sie uns ihre Geschichte erzählen mag.
Ihr Name sei Celine, sagte die junge Frau und dass sie uns gerne ihre Geschichte erzählen würde,
auch vor der Kamera, dass sie uns aber sagen möchte, dass sie Junkie sei.
Ich sah meine Freundin an, die ebenso fasziniert und zugleich erschrocken aussah, wie ich:
Celine erzählte uns sie sei 20 Jahre alt und habe einen Freund,
der gerade etwas zu essen besorgen würde.
Sie schlafe mal hier und mal da, bei Freunden oder draußen
und wenn das Geld genügt,
auch mal für eine Nacht im Hotel, da sei es immer so gemütlich.
Celine erzählte uns davon, wie sie als Kind ihrer Mutter dabei zu sah,
als diese Heroin spritzte und wie ruhig und glücklich ihre Mutter ihr damals erschien.
Sie erzählte uns von sexuellen Missbräuchen durch einen Onkel,
als sie 4 Jahre alt war.
Sie erzählte uns, dass sie 9 Jahre alt war, als sie zum ersten mal kiffte.
Meine Freundin und ich sahen uns hin und wieder mal an,
mir bleib die Luft weg und ich spürte wie eine unfassbare Wut in mir aufstieg.
Celine erzählte uns gerade davon, dass sie selbst eine Tochter habe,
die sie in eine Pflegefamilie gab, weil sie bisher keinen Entzug geschafft habe,
als ihr Freund an uns vorüber lief und erklärte, er wolle nicht gefilmt werden.
Etwas später, setzte er sich zu uns und während meine Freundin weiter mit Celine sprach,
fragte ich ihren Freund nach seinem Namen,
er sei der Bastian, sagte er und dass er 32 Jahre alt wäre,
aber die letzten 12 Jahre gesessen habe, er habe versucht sich das Leben zu nehmen in Haft,
und dass er das schon öfter versucht habe,
aber jetzt habe er Celine und sie sei der einzige Mensch,
der ihn jemals wirklich geliebt habe.
Wo wir jetzt doch einen Film machen würden,
warum wir nicht darauf hinweisen würden,
dass es in unserer Stadt grausam wäre für Kinder.
Ob wir die alte Dame kennen würden, die immer Pfandflaschen sammelt,
weil sie nicht genug Rente habe, die Dame hätte vier Kinder erzogen und ihren Mann gepflegt,
wo da die Gerechtigkeit wäre?
Alte Menschen brauchen schließlich auch mehr, wirft Celine ein.
Eine Wohnung, Kaffee,genug zu Essen und Anti Falten Creme.
Wie er Drogenabhängig wurde, fragte ich Bastian.
Er antwortete, dass sein Bruder ihm das erste mal Heroin gegeben habe,
damit er die Schmerzen vergesse.
Er sei schon immer psychisch labil gewesen.
Er konnte die Ablehnung seines Vaters nicht ertragen,
dieser hätte zwei mal versucht ihn umzubringen
und hätte immer wieder gesagt er sei ein Unfall.
Ich höre ihm gebannt zu und werde traurig.
Er habe ein paar Monate immer mal wieder etwas genommen
und sein Bruder hatte ihn gewarnt, dass er genau so abhängig würde, wie er selbst,
aber das hatte er nicht geglaubt.
Er sei eines Morgens aufgewacht und habe gedacht er habe eine Magen – Darm Grippe,
diese mutierte Grippe, denn eine solche Grippe hätte er noch nie erlebt.
Er schildert mir genau, was mit seinem Körper passierte.
Mir wird übel.
Er wollte dann zur Apotheke um sich Medikamente zu holen, als sein Bruder ihm sagte,
dass das nicht helfen würde.
Da habe er „ES“ zum ersten Mal geraucht.
Es war wie ein Traum, sein Körper hörte auf zu schmerzen und die „Grippe – Symptome“ waren weg.
Ob ihm in dem Moment klar wurde, dass er abhängig sei, fragte ich ihn.
Er antwortete:
„JA und es war mir egal. Weisst Du, am Anfang ist das so, dass Du nichts mehr fühlst und ich wollte nicht fühlen.“
Jetzt sei es so, dass er es einfach brauche, um keinen „Affen“ zu bekommen,
er bekomme Methadon, seit seiner Haft.
Zum Schluss erzählen beide gemeinsam.
Ich frage sie, woher sie das Geld für die Drogen nehmen,
denn inzwischen ist klar, dass sie neben Methadon, weiter Drogen konsumieren.
Sie gehe anschaffen, sagt Celine, wenn nötig.
Bastian schaut weg.
Was Glück für sie bedeutet fragt meine Freundin.
Celine antwortet:
„Glück bedeutet für mich eines Tages den Entzug zu schaffen,
eine Wohnung zu finden um meine Tochter zu mir holen zu können.
Ein normales Leben zu führen.“
Bastian sagt:
“Ich weiss nicht was Glück ist, vielleicht für immer mit Celine zusammen sein.“
Wenn sie sich etwas wünschen dürften, was sie sich wünschen würden, fragen wir.
„Einen Menschen auf den ich mich verlassen kann,“ antwortet Bastian.
„Ja,“ sagt Celine, „Freunde, die etwas mit uns unternehmen.
Ich würde so gern in den Zirkus und ich interessiere mich für Meeresbiologie.“
Was sie besonders gerne tun, fragen wir.
Celine erzählt uns, dass sie gerne malt, manchmal stundenlang vor den Leinwänden und den Ölfarben im Bastelladen steht.
Bastian fügt hinzu, dass sie von Zeit zu Zeit einfach fremde Leute portraitiere.
Er selbst habe durch Celine begonnen sich für Bücher zu interessieren.
Am liebsten lese er dunkle Gruselgeschichten mit Action.
Das ist nur ein kleiner Auszug dessen,
was diese beiden besonderen Menschen uns innerhalb zwei Stunden erzählten.
Immer wieder betonten sie, wie sehr sie sich wünschen würden,
sich öfter einmal mit anderen Menschen zu unterhalten.
Aber sie werden meistens behandelt wie Dreck.
Ob sie sich selbst als wertvoll empfinden, fragten wir sie.
Hin und wieder, antworten beide, aber erst seit sie sich gegenseitig gefunden haben
und dass sie jetzt wissen, was Liebe sei.
Wir bedanken uns und umarmen die beiden.
Wir fragen nach, ob sie etwas brauchen.
Beide verneinen vehement.
Ich sage ihnen, dass sie wunderbare Menschen sind und ich unglaublich viel lernen durfte,
in dem Gespräch mit ihnen.
Celine wirkt gerührt, sie sagt, dass sie sowas seit mindestens 5 Jahren nicht mehr gehört hat.
Bastian bedankt sich bei uns, weil wir ihnen zugehört haben und uns nicht vor ihnen ekelten.
Sie wünschen uns viel Erfolg für den Wettbewerb und fragen,
ob wir ihnen den Film zeigen würden, wenn er fertig wäre.
Wir versprechen, dass wir wiederkommen,
mit dem Film, Leinwänden und Farbe für Celine.
Auf dem Weg zurück zum Auto haben wir keine Worte, meine Freundin & ich,
und auch während der Fahrt, sind wir weiter berührt, erschrocken, bestürzt
und auch unglaublich d a n k b a r - für unser Leben,
für diese lehrreiche Begegnung
und für das Vertrauen dieser beiden Menschenseelen.

https://www.youtube.com/watch?v=EyJtiLZRxqw



5 Kommentare:

  1. In den Augen ALLER Menschen wohnt eine unstillbare Sehnsucht. In den Pupillen ALLER Klassen, in den Blicken der Jungen und der Alten, der Mütter und liebenden Frauen, in den Augen der Polizisten und der Angestellten, des Abenteurers und des Mörders, des Revolutionärs und des Diktators und in denen des Heiligen:

    In allen wohnt der GLEICHE Funke unstillbaren Verlangens, das gleiche heimliche Feuer, der gleiche Abgrund, der gleiche unendliche Durst nach Glück und Freude und Liebe und geliebt werden.

    ~Ernesto Cardenal~

    Da ist es wieder
    das besondere Wort:
    DANKBARKEIT..
    ich freue mich mit DIR für dieses Besondere Erlebniss..
    was ja im Pinzip eine Fortsetzung Deines Haltestellen-/Bahnerlebnisses war!
    LG
    auch aus Deiner Stadt!

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  2. So ist das Leben, kann man fast sagen. Die Meisten schauen auf sich und sehen die Nächsten zur Seite nicht einmal. Ein jeder wäscht sich seine Hände in Unschuld, wertet ab, schaut weg und ignoriert. Denn wer bewusst sieht, kann nun mal nicht ignorieren. Ich komme selber von ganz "unten" einer der Gründe, um es nach "oben" schaffen zu müssen. Als Beweis und Mahnung für alle die übersehen und verurteilt wurden. Ich mag diese Geschichte, denn sie ist so hart und traurig wie die Realität. Ist sie real oder erfunden? Grüße

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  3. Guten Morgen Bruno,

    herzlichen Dank für Deine offenen Worte. Die Geschichte ist wahr, ein kleiner Ausschnitt, der Geschichte, die sie uns erzählten. Sie haben uns berührt, diese Menschen und ich frage mich, wie oft in ihrem Fall jemand nicht hin sah. Wie oft höre ich: "Du kannst diesen Menschen nicht helfen, sie sind Junkies, sie wollen das so."
    Vielleicht kann ich ihnen nicht helfen,
    vielleicht habe ich auch nicht den Anspruch ihnen zu helfen,
    weil ich weiss, dass jeder Mensch seinen Weg nur aus eigener Kraft gehen kann und es erst dann Sinn macht unterstützend zu wirken.
    Was ich aber sicher kann, ist meine Augen öffnen, diesen Menschen einen Augenblick meiner Zeit schenken und ihnen zuhören.

    Herzlich

    Daniela

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  4. Danke für dieses Teilhaben dürfen ... Tief berührte Grüße

    Wölkchen

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