Samstag, 12. Oktober 2013

~ STURMFLUT ~

Eine Woche voller Überraschungen neigt sich dem Ende.
Mir kommen die Worte eines Freundes in den Sinn:
„Stop trying to control the uncontrolable.
Let´s train the individual perception for the HIDDEN tries.“
Über die versteckten Versuche könnte ich Dir eine Menge erzählen, in dieser Woche,
sowohl über meine eigenen, als auch über die
strategisch freundlich getarnten Versuche meiner Mitmenschen.
Viel lieber schreibe ich von meiner Begegnung mit mir selbst in dieser Sturmflut,
die mich nicht einmal Worte finden ließ für mein Gefühl.


Ich kann nicht genau erkennen, wie sie diesmal einsetzte,
ich weiss nur, ich war mitten drin und hatte absolut keine Kontrolle über das, was dort passierte.
Intensive Wellen des Gefühls allein und verlassen zu sein, unverbunden irgendwie.
Dabei wurde ich so liebevoll gehalten und begleitet von einer Freundin,
die parallel ähnliche Wellen erlebte.
Ein ewiges Auf und Ab der Gefühle, neblige Bilder eines Films,
der sich vor meinem inneren Auge abspielte
und mich immer wieder mit voller Kraft auf den Tiefengrund schleuderte.


Mein Leben explodiert, dachte ich.
Oder bin ich es?
Zwischen Alltag und äusseren Umständen, die Kampfplätzen glichen,
welche natürlich in Wahrheit in mir selbst existieren, war das nichts mit meiner friedvollen Mitte.
Hin und Her gerissen zwischen Vertrauen und Kontrolle, ein ewiger Kampf zwischen Licht und Schatten.
Die krassesten Begegnungen mit Selbstverurteilungen und keinen blassen Schimmer,
aus welcher Richtung der kalte Wind mir entgegen bläst.
Durchblick und klare Gedanken sind in diesem Zustand nicht möglich.
Ruhe war mein Wunsch, die ich nicht einmal in der Nacht finden konnte.
Schlaflos durch die Woche mit Bildern vergangener Tage
den dazu passenden Gefühlen des Verlustes, Versagens
und die Frage woher das nun wieder kommt.
Schuldgefühle, Ungeduld, tiefe Sehnsucht und die Erkenntnis,
dass ich meine Liebe verraten habe.
Ich verriet meine Liebe an Rollen, die ich spielte, die ich lernte zu spielen,
um etwas zu bekommen, was niemand mir zu geben in der Lage war, weil ich es nicht fühlen konnte.
Rollen, die sich ewig wiederholten.
Ich habe sie nicht mal bewusst gewählt, dennoch habe ich sie gespielt, meistens wirkten sie unschuldig.

Damit war Liebe nicht mehr rein, sondern ein Tauschgeschäft.
Das wusste mein Unterbewusstsein und entschied einfach mal nicht zu fühlen,
was da ankommt an Liebe, weil ich nicht echt war.


Einer Freundin schrieb ich kürzlich, mein Drama beginnt immer da,
wo Märchen glücklich enden.
Mit dem schillernden Helden, der seine Prinzessin zum Leben erweckt.
Damit geht es dann los, ich bin keine Prinzessin.
Den Helden und seinen Auftrag erkenne ich auch erst in der Reflexion.
Offensichtlich fühlen sich Helden berufen mich zu retten,
so drängt sich mir die Frage auf wozu und was ist es,
das ich aussende, das in Männern diesen Wunsch des Rettens auslöst?
Meine Sehnsucht?
Ich glaube, das Menschen, die dieses Gefühl kennen ziemlich schnell andocken an meinen leicht melancholischen Ausdruck, mystisch fällt mir ein, so drückte es der Vater meiner Kinder aus.


Dunkel empfand es der Mensch, der mir nach vielen Jahren,
in der Trennungszeit meiner Ehe wieder begegnete.
Eine Zeit, in der ich langsam begann mich wieder zu spüren
und die ich vernünftigerweise lieber dazu genutzt hätte,
mich ausschliesslich mit mir und meinem neuen Leben zu beschäftigen.
Es war so schön, so intensiv und zu Beginn recht abenteuerlich.
Wir kannten einander, dachten wir, zumindest hatten wir ein Bild aus vergangener Zeit,
das keiner von uns so recht vergessen konnte.
Ein Augenblick in einem Sommer vor 12 Jahren.
Wir begegneten uns auf einem Seminar. Professionell verkleidet.
Etwas in den Augen des anderen, das sehr schnell und heftig reagierte.
So sehe ich uns in einem kleinen Dorfcafe, in der Nähe des Seminarhotels sitzen
und in der Lebensgeschichte des anderen versinken.
Ich werde das Blitzen in Deinen Augen nie vergessen,
als Du von Amsterdam und Deinem Plan auszusteigen erzähltest.
Ich glaube, das war der Moment in dem wir uns irgendwie verbunden haben,
wir begegneten uns damals sehr heftig und so leidenschaftlich wie es begann,
so abrupt endete es auch in der Tatsache, das wir uns zum „falschen“ Zeitpunkt trafen.
Jeder von uns war irgendwie unglücklich und dennoch verwurzelt in seinem Leben.
Als wir uns dann Jahre später erneut begegneten,
standen wir beide vor den Trümmern eines geplatzten Familientraumes
und hofften im anderen die Erfüllung des eigenen Traumes zu finden.
Heute muss ich darüber lachen, weil unsere Träume so unglaublich verschieden sind,
sie klangen nur gleich. Sehnsucht hat uns verbunden und Sehnsucht hat uns voneinander getrennt.
Meine Sehnsucht mich zu finden, meinen Weg zu gehen,
den Rucksack der Vergangenheit zu leeren,
um befreit von diesem Ballast ein Leben zu leben, das mich erfüllt.
Deine Sehnsucht anzukommen.
Unsere gemeinsame Sehnsucht nach Freiheit,
dabei hat mein Freiheitsverständnis nichts mit dem Deinen gemein.
Da wo meine Freiheit begann, wurde sie für Dich zur Begrenzung.
Da wo Du Dir Nähe wünschtest, war meine Distanz, eine Fernbeziehung,
die ausserhalb des Alltags mit meinen Kindern stattfinden sollte.
Verständnisvoll warst Du, sensibel und unglücklich.
Du bautest Mauern um Dich zu schützen, die ich mit aller Macht einreissen wollte.
Dein Freiheitsbegriff, ließ mich allein fühlen und nicht wertgeschätzt.
So begannen wir uns gegenseitig zu verletzen.
Wir trennten uns, versuchten erneut uns zu begegnen,
wurden immer gleichgültiger und spielten Schuldzuweisungs – Ping - Pong.
Bis ich es nicht mehr aushalten konnte.
Ich gab auf und die einzige Möglichkeit erschien mir in diesem Augenblick,
den Kontakt zu Dir komplett einzustellen.
Jeden Kontaktversuch zu blockieren und nicht zu reagieren war so schwierig für mich,
dennoch wusste ich - mein Gefühl - und das,
was mich von diesem Zeitpunkt an immer mehr leitete, dass es gut und richtig ist.
Nun haben wir es nach all den gegenseitigen Verletzungen und mit der Zeit geschafft,
uns freundschaftlich verbunden zu fühlen.
Das ist ein großes Geschenk für mich.
Ich danke Dir, für Deine Begleitung durch eine sehr turbulente Zeit
und für Deine Wertschätzung, die über Liebesdramen und verschiedene Sichtweisen hinaus geht.
Wenn ich zurückblicke, waren die Momente, in denen wir ausschließlich Freunde waren,
die ehrlichsten in unserer gemeinsamen Zeit.
Vielleicht, weil Du kein Held sein musstest und ich keine Prinzessin!?


… nach dem Happy End im Märchen gestaltet es sich nämlich so,
wenn die Rolle des Helden bemerkt, dass die Rolle der Prinzessin ein Bild ist,
in das die Frau nicht wirklich passt,
weil sie schon vor dem wach geküsst werden ganz gut leben konnte,
das auch weiterhin tut ohne ständig gerettet werden zu müssen
und die Rolle des Helden damit überflüssig wird, müssen neue Rollen her.
Ich werde dann auch gleich aktiv und kümmere mich „mütterlich“,
so wie es überbetonte Weiblichkeit verlangt und der Held, der hat gar keine andere Wahl,
als seine Rolle als gefallener Held zu akzeptieren,
die Kümmererrolle wirkt so unfassbar unschuldig:
„Schatz, geht es Dir auch wirklich gut?“
Die personifizierte Weiblichkeit tut ab jetzt alles,
um ihren gefallenen Helden zu unterstützen, sich an ihrer Seite zu entwickeln,
um ein neues Betätigungsfeld als Held zu finden, weil sie glaubt,
er fühle sich wohl in der Heldenrolle und sie sich schuldig fühlt,
weil sie in Wahrheit weder Prinzessn noch personifizierte Weiblichkeit ist.
Diese Rollen kann sie auf Dauer nicht spielen, weil sie daran zerbricht,
oder die Beziehung tut es bereits vorher.


Ab hier wurde es richtig spannend in meiner Sturmflut.
Ich wurde wütend auf mich selbst und auf diese verdammten Rollen,
die vielleicht Anteile von mir enthalten, aber in dieser gespielten Form nichts mit mir zu tun haben.
Mir wurde schlagartig bewusst, wie viel Porzellan ich zerschlagen musste,
um das alles zu erkennen.
Diese Rollen zeigen sich mir immer wieder in der Begegnung mit Menschen,
die eine Projektionsfläche dafür bieten.


Ich bin nicht unschuldig und ich will auch nicht so wirken.
Ich bin ich, mit allen Anteilen, die ein Mensch so in sich haben kann,
dunklen und leuchtend hellen.
Ich bin wütend und traurig, manchmal verschlossen, dann wieder offen,
ich bin freundlich, meistens höflich, ich leide, ich lache, ich liebe,
ich singe laut, obwohl ich es nicht kann, ich rauche zu viel und gern,
ich verkrieche mich leise in mir und breche dann sehr laut und voller Freude durch meine selbstgebaute Schutzmauer.
Ich habe alle Zeit der Welt und bin dennoch in Eile,
ich hasse Smalltalk und liebe Menschen,
die mir meine hundertachtundsiebzigste Frage nachsehen,
ich bin anstrengend manchmal, auch mir selbst übrigens.
Dann wieder bin ich leicht und fröhlich.
Ich kann Nähe in einer Distanz fühlen und umgekehrt.
Ich brauche Raum und Zwischenraum.
In meinem bunt gibt es viel schwarz und weiss.
Meistens kann ich nicht über Witze lachen,
dafür lache ich als einzige im Kino, wenn kein Mensch die Szene im Film lustig findet.
Es gelingt mir selten zu verbergen, wenn mich etwas langweilt.
Ich liebe Details und kann mich darin verlieren für einen Moment,
um all diese Fragmente zu einem Gesamtbild zu verbinden.
Ich liebe Harmonien, zu viele davon machen mich wahnsinnig.
Ich bin vorsichtig und ich bin mutig.
Ich bin wahrhaftig, wenn ich mich spüren kann.
Ich liebe meine Freiheit und lerne mir Sicherheit zu geben.
Lernen hört nie auf und am allerliebsten lerne ich mit Menschen.
Ich bin dankbar und ich lerne Demut.
Ich friere auch im Sommer und hasse Freibäder.
Ich kann Oberflächlichkeit nicht ertragen, nutze sie aber als Fluchtpunkt,
wenn sich mir jemand sehr schnell und intensiv nähert.
Ich mag Offenheit und stolpere über radikale Direktheit.
Ich mag Stille und muss Musik laut hören.
Mich berühren Menschen tief, die wahrhaftig sind und gegen alle Widerstände für sich selbst einstehen.
Mich bewegen Menschen, die sich aus eigenem Antrieb befreien.
Mich begeistern Projekte, die Menschen verbinden.


… und das alles wirbelt so durch mich hindurch, während meiner Sturmflut, die mich für einen kurzen Augenblick noch einmal zu einem kleinen, traurigen Mädchen gemacht hat, das nachdem es nun wieder HIER und JETZT gelandet ist beruhigt in mir leben darf. Es hat ein Bild losgelassen,
das Bild von einem Menschen, das sie selbst gemalt hat - malen musste - um als Kind diesen Verlust zu ertragen. Heute brauche ich dieses Bild nicht mehr.
Ich kann Dich sehen, fühlen und erkennen.
Ich kann mich fühlen und ich muss nicht mehr projizieren und suchen,
was ich nur in mir selbst finde.
 



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